Eine Situation aus dem Leben von Lina
Lina schneidet in der Küche Äpfel klein, als ihr einfällt, dass sie Nils, ihren 4-jährigen Sohn, fragen wollte, ob er sich morgen verabreden will. Sie läuft nach nebenan und erwartet, ihren Sohn mit dem Puzzle beschäftigt zu sehen.
Doch nein – er steht vor der Tür zum Flur und hat auf diese viele kleine Papierschnipsel aufgeklebt.
Entsetzt geht sie auf ihn zu und spricht ihn an: “Was machst du da??” 😯
Nils lässt alles fallen, senkt den Kopf und sagt – nix.
Wie würdest du reagieren?
Was ist deine erste, spontane Reaktion? (Die auch unpädagogisch sein kann.)
“Sag mal, geht´s noch? Du kannst doch nicht einfach alles vollkleben! Hey, ich red mit dir – schau mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede und antworte mir.”
So etwas in der Art?
Verständlich und weit verbreitet.
Wenn die Mutter so reagieren sollte
Das Kind fühlt sich ertappt und beschämt.
Nils wird auf Grund der Reaktion seiner Mutter bewusst, dass das Bekleben wohl doch nicht so eine gute Idee war, wie es sich zuerst angefühlt hatte.
Im Kindergarten hatte Nils die Technik erlebt und wollte es ausprobieren und die Tür verschönern. Er hatte die beste Absicht.
Doch Mama scheint das anders zu sehen.
Er weiß nun nicht, wie er das wieder gut machen kann, fühlt sich unsicher und beschämt. Er kann seiner Mutter jetzt nicht in die Augen sehen.
Also schaut er auf den Boden – eine Art der Unterwerfungsgeste -> “Ich sehe, dass du mit meinem Tun nicht einverstanden bist, und ich schäme mich, etwas getan zu haben, das du ablehnst.”
Das Kind zeigt damit deutlich, dass er sich bewusst ist, etwas falsch gemacht und die Reaktion der Mutter wahrgenommen zu haben.
Die Scham verstärkt sich.
Die Aufforderung seiner Mutter, sie doch anzusehen, löst einen kleinen Anflug von Panik in ihm aus. Nils fällt es dann unendlich schwer, doch den Kopf zu heben und sie anzusehen.
Ziemlich schnell fühlt er sich nicht nur beschämt und unsicher, sondern auch falsch und ungeliebt.
Sobald dieser Zustand erreicht ist, kann das Kind nicht mehr über das “hätte ich mal lieber nicht gemacht und lass ich das nächste Mal auch sein” nachdenken.
Er spürt die Enttäuschung und die Macht der Mutter und glaubt, nicht mehr wertvoll und geliebt zu sein. Er versucht nun alles, damit die Mutter ihn wieder liebt.
Wie reagiert Lina tatsächlich?
Lina atmet tief ein und aus und geht dann auf Nils zu.
Sie geht in die Knie und umarmt ihn innig und liebevoll.
Dann schaut sie ihn an, hält den Kontakt durch Berühren seiner Hand.
“Hey Nils, du hast die Tür mit Papierschnipsel beklebt.”
Nils nickt und schaut sie immer noch nicht an.
“Ok, das habt ihr im Kindergarten gemacht an der einen Wand. Wolltest du die Tür auch so schön gestalten?”
Nils nickt wieder und schaut ihr jetzt ins Gesicht.
Lina atmet noch einmal tief ein und aus.
“Danke, dass du das verschönern wolltest. Ich will, dass du mich das nächste Mal, wenn du hier im Wohnzimmer etwas ändern möchtest, fragst, ob ich das auch will.”
Nils nickt und Lina weiß genau, dass er sich das jetzt vornimmt, aber es höchstwahrscheinlich noch etliche Male vergessen wird.
Zusammen räumen sie alles auf und entfernen die meisten Schnipsel.
Einer bleibt dran – als wertvoller Beitrag von Nils zur Verschönerung der Tür.
Lina sieht die wertvolle Absicht, seine Motivation hinter seinem Handeln und kann diese anerkennen. So fühlt sich Nils trotzt der entsetzten ersten Reaktion seiner Mutter gesehen und wahrgenommen als Mensch.
Damit bleiben ihm die Möglichkeiten, über sein Handeln und die Konsequenzen nachzudenken und nachzuspüren, erhalten.
Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass er im Laufe der Zeit tatsächlich seine Pläne mit Mama bespricht.
Und es festigt und bestärkt die Beziehung der Beiden enorm. ❤
Wie sind deine Erfahrungen und Gedanken dazu?
Schreib mir in die Kommentare. Ich freue mich darauf!
Herzliche Grüße
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